Ratingagenturen dürfen keine Lohnschreiber sein

Interview mit Rechtsanwältin Dr. Susanne Schmidt-Morsbach

Die Kanzlei Schirp Neusel & Partner hat Klage gegen die Scope Ratings AG eingereicht. Hintergrund ist ein angeblich fehlerhaftes Rating zu einer Anleihenemission. Scope bescheinigte ein A-Rating, also gute Qualität mit geringem Risiko für die Anleihe MS-Deutschland, während die Emittentin selbst zu diesem Zeitpunkt nur ein sehr schlechtes C-Rating hatte. Begründet wurde die gute Bewertung der Anleihe mit der Besicherung über das „Traumschiff“, dem ein offenbar zu hoher Wiederbeschaffungswert attestiert wurde. Im Interview erläutert die Rechtsanwältin Dr. Susanne Schmidt-Morsbach die Hintergründe dazu.

Investmentcheck: Sie haben im vergangenen Jahr Klage gegen Scope Ratings AG eingereicht. Wie ist der aktuelle Stand des Verfahrens?
Dr. Susanne Schmidt-Morsbach:Die Klageerwiderung liegt seit kurzem vor, sie enthält nichts Überraschendes. Was die Ratingmethode betrifft, beruft sich Scope auf ihr Geschäftsgeheimnis. Ferner gäbe es ein Gutachten einer großen WP-Gesellschaft, das ihr Recht gibt. Vorlegen will sie das allerdings nicht. Außerdem würden Ratingagenturen ohnehin nicht haften. Sie seien im Grunde mit der Wirtschaftspresse zu vergleichen. Das Handelsblatt muss ja auch nicht haften, wenn es sich mal irrt.

Rechtsanwältin Dr. Susanne Schmidt-Morsbach kämpft für die Anleger der MS Deutschland
Fakten, auf denen ein Rating beruht, müssen richtig und vollständig sein.
Bild: Rechtsanwältin Dr. Susanne Schmidt-Morsbach

Wie beurteilen Sie die Aussichten des Verfahrens?
Zusammenfassend kann man festhalten, dass wir in diesem Fall eine ausgesprochen gute Ausgangsposition haben, da das Rating sich auf falsche Grundlagen stützt und dies mit einem nachfolgenden Rating sogar selbst bestätigt wird. Wir sind sehr guten Mutes, diesen Fall zu gewinnen

Warum klagen Sie gerade in diesem Fall gegen die Ratingagentur? Scope hat sich doch schon häufiger getäuscht.
Natürlich kann niemand die Zukunft voraussagen. Das werfen wir Scope auch nicht vor. Die Bewertung selbst ist eine Prognose und hat einen Spielraum. Aber die Fakten, auf denen die Bewertung beruht, müssen richtig und vollständig sein. Die Ratingagentur muss Widersprüchen nachgehen, zumindest, wenn sie ins Auge springen.

Welche Widersprüche meinen Sie?
Die Emittentin, die MS Deutschland Beteiligungs GmbH, war nicht annähernd für das Anleihevolumen gut. Sie hatte ein C-Rating. Auch die Anleihe hätte dieses Rating haben müssen, wenn sie nicht mit Sicherheiten hinterlegt gewesen wäre. Das wusste Scope genau, das steht im Bericht. Grundlegende Aufgabe war deshalb, den Wert des Schiffes richtig zu bestimmen. Allein der Wert des Schiffes bestimmte das Rating. Hier hat sich Scope auf ein Gutachten verlassen, das die Emittentin zur Verfügung gestellt hatte und offensichtlich nicht für die Beurteilung der Sicherheit im Krisenfall ausreichte. Es gab darüber hinaus Hinweise, dass das Schiff anders zu bewerten ist: Der Kaufpreis des Schiffes, sein Versicherungswert und sein Wert in der Bilanz. Es handelt sich unseres Erachtens um ein eklatantes Versagen im Kernbereich der Tätigkeit einer Ratingagentur.

Die Anleiheemittentin ist zwischenzeitlich insolvent. Was sagt der Insolvenzverwalter dazu?
Der Insolvenzverwalter ist in dieses Verfahren nicht eingebunden. Dies ist auch nicht erforderlich.

Wie schätzen Sie die Chance ein, bei einem Obsiegen gegen Scope tatsächlich den Schaden ersetzt zu bekommen?
Die Chancen sind gut. Scope hat erst vor wenigen Monaten das Eigenkapital erhöht. In den letzten Jahren hat die Scope Group nach eigenen Angaben über 20 Millionen Euro investiert. Wir sind sehr zuversichtlich, dass unsere Kläger nicht nur vor Gericht gewinnen, sondern auch den Schaden ersetzt bekommen.

Sehen Sie dieses Verfahren als eine Art Präzedenzfall, um zukünftig häufiger gegen vermeintliche Gefälligkeitsgutachten vorzugehen?
Es ist ein Pilotfall und es werden weitere kommen. Grundlagen des Geschäftsmodells einer Ratingagentur sind Vertrauen, Kompetenz und Glaubwürdigkeit. Schauen Sie nur einmal die Internetseite von Scope an. Da geht es um nichts anderes: Vertrauen und Kompetenz. “As a German-based rating agency we are committed to contributing to more transparency in capital markets and to becoming a European alternative to the „status quo“ for institutional investors and issuers.“
Oder die Creditreform Rating AG: „Ziel der Creditreform Rating AG ist es, zu einem funktionierenden Finanzsystem beizutragen. Daher ist unser Anspruch objektiv, transparent und unabhängig zu handeln und so die hohe Qualität unserer Dienstleistungen zu sichern.“

Ist das nicht nur Werbung?
Nein, das greift zu kurz. Aus Sicht der Ratingagentur handelt es sich um ein Gutachten mit dem Anspruch der Objektivität. Der Kunde, dessen Wertpapier geratet wurde dagegen nutzt das Rating dann als werbendes Element, zum Beispiel in Flyern und Prospekten. Dies hat Scope gerade im Fall MS Deutschland auch ausdrücklich zugelassen. Das funktioniert aber nur, wenn die Objektivität der Ratingagentur außer Zweifel steht. Diesen Mechanismus kennen wir in anderen Zusammenhängen. Die Bewertungen der Stiftung Warentest beispielsweise sind objektive Testergebnisse und gewinnen gerade dadurch ihren Werbewert.
Und das genau ist das Geschäftsmodell. Es besteht darin, mit objektiven und vor allem unabhängigen Bewertungen Marktteilnehmer des Kapitalmarkts bei ihren Anlageentscheidungen zu unterstützen. Die zyklische Erneuerung der Bewertung suggeriert eine laufende Überwachung. Die Ratingagentur geriert sich als Wächterin des Kapitalmarkts.
Das ist auch alles von den Beteiligten so gewollt und vertraglich vereinbart. Zu Recht! Der Markt benötigt derartige Institutionen. Wie zum Beispiel auch der TÜV oder die Stiftung Warentest in ihren Bereichen, haben die Ratingagenturen eine Leitsternfunktion für den Kapitalmarkt. Diese Funktion muss geschützt werden. Die Kehrseite des Vertrauens ist eben die Haftung.

Erhoffen Sie sich von Ihrer Klage eine Signalwirkung für die Branche?
Ja, wir kämpfen aus Überzeugung für einen sauberen Markt. Dazu gehört auch, dass wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen offensichtliche Missstände angehen. Anleihen sind grundsätzlich etwas Gutes. Es kommen die zusammen, die Geld brauchen und die, die es anlegen wollen. Dazwischen steht die Ratingagentur als verlässlicher Ratgeber für beide Seiten. Der Anleger muss eine informierte Entscheidung treffen können. Wo sollen die Informationen herkommen? Wer soll Garant sein für deren Richtigkeit?

Aber das Rating wird doch vom Emittenten in Auftrag gegeben und bezahlt. Ist es nicht naiv, auf dieses Rating zu vertrauen?
Die Argumentation hört man immer wieder, aber sie ist schlicht abwegig. Den Wirtschaftsprüfer zahlt auch das geprüfte Unternehmen, trotzdem muss sein Bericht zutreffend sein und er haftet dafür. Da muss man die Ratingagenturen beim Wort nehmen dürfen. Wer Transparenz und Unabhängigkeit für sich in Anspruch nimmt, kann nicht auf der anderen Seite Interessenvertreter und Lohnschreiber sein.

Vielen Dank für das Gespräch.


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