Anfechtungen in Millionenhöhe

Geprellte Anleger bei EN-Storage sollen erhaltene Gelder zurückzahlen

Im Mai 2017 wurde unter dem Aktenzeichen 6 IN 190/17 des Amtsgerichts Stuttgart das Insolvenzverfahren über die EN Storage GmbH eröffnet. Diese Firma hatte Kapitalanlagen angeboten, die zum Kauf von Daten-Speicher-Systemen verwendet werden sollten. Man würde „sinnvoll in die Wirtschaft“ investieren. Alles sei „lukrativ – planbar – erfolgreich“. 8,43 Prozent Rendite bei einer Laufzeit von drei Jahren lautete eines der Versprechen, mit dem über 80 Millionen Euro eingesammelt wurden. Doch wer dem glaubte, der hat nun nicht nur sein Geld verloren. Der Insolvenzverwalter fordert von Anlegern erhaltene Zahlungen in den vier Jahren vor Insolvenzeröffnung zurück.

Musterverfahren. Bevor er den Brief an tausende von Anlegern verschickt, hat sich Dr. Holger Leichtle von Schultze & Braun ein paar Musteranleger ausgesucht. Bei ihnen seien die Ermittlungen darüber abgeschlossen, wie viel Geld sie seit dem 5. März 2013 von der EN Storage GmbH zu Unrecht erhalten haben. Zu Unrecht deshalb, weil es sich um ein Schneeballsystem gehandelt hat: „Das vorgebliche Geschäftsmodell der Insolvenzschuldnerin, welches im Wesentlichen eine Zwischenvermietung von für Investoren erworbene IT-Systeme zur Datenspeicherung vorsah, hatte tatsächlich nie existiert. Weder wurden für die Investoren konkrete IT-Systeme angekauft noch hatte die Insolvenzschuldnerin Kunden für solche Systeme, die angeblich bei den Kunden betrieben werden sollten.“ Daraus folgert Leichtle, dass alle Zahlungen an Anleger in der Vergangenheit aus neu eingeworbenen Geldern geleistet wurden, „um das Schneeballsystem aufrecht zu erhalten und es nicht auffliegen zu lassen.“ Untermauert werden diese Feststellungen durch ein Geständnis des geschäftsführenden Gesellschafters Edwin N., gegen den ein Strafverfahren beim Landgericht Stuttgart läuft.

Trotz Unterschrift eines Wirtschaftsprüfers waren Eigentumszertifikate nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt waren.
Trotz Unterschrift eines Wirtschaftsprüfers waren Eigentumszertifikate nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt waren.
Quelle: Auszug aus einem Eigentumszertifikat

Insolvenzrecht. Das Zauberwort für Insolvenzverwalter, von der geprellte Anleger Alpträume bekommen können, lautet „Anfechtung“. Die Insolvenzordnung regelt in Paragraph 129 und 134 die Anfechtbarkeit unentgeltlicher Leistungen, die vier Jahre vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung von der Schuldnerin bezahlt wurden. „Der Gläubigerausschuss im Insolvenzverfahren der EN Storage GmbH hat beschlossen, dass in ausermittelten Fällen Musterklagen erhoben werden sollen.“ Wer von den Anlegern das Pech hat, bereits „ausermittelt“ zu sein, muss alle aus dem Schneeballsystem finanzierten und ohne tatsächliche Gegenleistung erhaltenen Zahlungen innerhalb weniger Wochen zurückzahlen. Und damit ein Anleger sieht, wie ernst es dem Insolvenzverwalter mit seiner Ankündigung ist, hat er dem Anschreiben bereits einen Klageentwurf mit der darin aufgeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu Schneeballsystemen beigefügt.

Klageentwurf. Wichtige Voraussetzung für die Anfechtbarkeit erhaltener Zahlungen ist eine objektive Gläubigerbenachteiligung. Diese ist laut höchstrichterlicher Rechtsprechung anzunehmen, wenn entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt wurde. Bei Zahlungen ist dies unabhängig vom Kontostand des Emittenten anzunehmen. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob eine Unentgeltlichkeit vorliegt. Dies sahen die BGH-Richter in 2017 als gegeben an, wenn ein Vermögenswert des Verfügenden zugunsten einer anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem Verfügenden ein entsprechender Vermögenswert vereinbarungsgemäß zufließen soll. Dies gilt selbst dann als gegeben, wenn keine Einigung für die Unentgeltlichkeit vorliegt. Vereinfacht ausgedrückt interpretiert die Kanzlei Schultze & Braun die Rechtsprechung so, dass eine Anfechtung notwendig ist, auch wenn die Anleger vom Schneeballsystem nichts wussten und von einer entgeltlichen Zahlung ausgingen.

Zertifikate. Wie häufig bei Direktinvestments hat auch EN Storage zur Verkaufsförderung Eigentumszertifikate ausgestellt. Mit diesen Urkunden sollte den Investoren bestätigt werden, dass sie Eigentümer bestimmter Storage-Systeme wurden. Ein investmentcheck in Kopie vorliegendes Zertifikat wurde von Geschäftsführer Lutz Beier und dem Wirtschaftsprüfer Rolf Breyer von der Kanzlei vsbb unterschrieben.

Testate. Aus Anlegersicht große Fragezeichen werfen auch die Testate der Abschlussprüfer auf. Sowohl den Jahresabschluss per 31. März 2015 als auch per 31. März 2016 haben die Wirtschaftsprüfer Gerhard Platz und Dr. Niko Kleinmann unterschrieben. Angeblich haben sie die Prüfungen so geplant und durchgeführt, „dass Unrichtigkeiten und Verstöße, die sich auf die Darstellung des durch den Jahresabschluss unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und durch den Lagebericht vermittelten Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage wesentlich auswirken, mit hinreichender Sicherheit erkannt werden.“ Einwendungen gab es nicht. Angeblich haben die Abschlüsse ein „den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft“ abgegeben. Dazu befragt hat sich die Kanzlei gegenüber investmentcheck nicht geäußert.

BaFin. Im Geschäftsjahr 2015/2016 hat die Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin gegenüber EN Storage den Vorwurf des unerlaubten Einlagengeschäfts erhoben. Auf ein förmliches Einschreiten hat die Aufsichtsbehörde allerdings verzichtet, da der Anbieter seine Finanzierung durch den Verkauf von Direktinvestments auf Inhaberschuldverschreibungen umstellte. Angeblich wurden über 40 Vermittler angestellt, die den Vertrieb sicherstellen sollten. Außerdem mussten Wertpapierprospekte erstellt werden, was der Anbieter natürlich sofort werblich nutzte: „Beachten Sie unseren BaFin-genehmigten Wertpapierprospekt“, hieß es in einer Werbebroschüre. Getan hat die Aufsichtsbehörde hingegen nichts, um die Betrügereien gegenüber den Privatanlegern zu verhindern.

Anfechtungsabwehr. Sascha Borowski von der Kanzlei Buchalik Brömmekamp versucht die Ansprüche des Insolvenzverwalters abzuwehren. Seines Erachtens sollte jeder betroffene Anleger dringend prüfen lassen, ob zum Beispiel eine Entreicherung geltend gemacht werden kann: „Ist eine (zu Unrecht erlangte) Leistung nicht mehr oder nicht mehr in voller Höhe vorhanden, dann spricht der Fachmann von Entreicherung.“ Allerdings muss diese dezidiert nachgewiesen werden. Eine Mitteilung nach dem Motto, „ich fühle mich entreichert oder ich habe meinen Lebensunterhalt von den Zahlungen bestritten“, ist laut Borowski keinesfalls ausreichend. Wer hierzu noch nähere Informationen möchte, kann hier ein kurzes Interview nachlesen.

Loipfinger’s Meinung. Laut Sascha Borowski müssen alle Käufer von Storage-Systemen mit Rückzahlungen rechnen. Ein Insolvenzverwalter würde sich schadensersatzpflichtig machen, wenn er diese zu Gunsten anderer Gläubiger nicht durchsetzt. Deshalb ist über die bisherigen Musterverfahren hinaus mit weiteren Rückforderungen zu rechnen. Für die Gläubiger ist das alles eine große Umverteilung. Die Masse wird erhöht und nach Abzug aller Kosten neu verteilt. Manche Anleger gewinnen, manche Anleger verlieren bei dem Umverteilungsprozess. Für den Insolvenzverwalter ist es viel Arbeit und bringt erheblichen Gebühreneinnahmen. Auch das ist ein Grund, warum bei solchen Insolvenzverfahren zukünftig im Zweifel eher mit Anfechtungen zu rechnen ist.


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