Robin Hood der Anleger

Rechtsanwalt Schirp reicht Klage gegen die Finanzaufsicht ein

Dr. Wolfgang Schirp ist realistisch. Er weiß, wie weit das Ziel entfernt ist, das er treffen will. Seit 40 Jahren hat niemand mehr versucht, die Finanzaufsicht wegen Versäumnissen zu verklagen. Damals ging es um die Pleite der Herstatt-Bank. Nachdem der Bundesgerichtshof eine mögliche Haftung der Bundesrepublik gegeben sah, wurden Gesetze geändert und der Einlagensicherungsfonds gegründet. Deshalb muss Schirp erst eine Vorlage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) erreichen, um dort überhaupt eine Chance auf ein positives Urteil zu haben. Wenn er das allerdings schafft, dann sieht er eine 50/50-Chance.

Klageschrift. Am 10. Oktober 2018 wurde die 19-seitige Klageschrift beim Landgericht Frankfurt eingereicht. Es geht um einen Anleger, der in das P&R-Angebot 5004 investierte. Wolfgang Schirp begründet die Schadensersatzansprüche sehr ausführlich mit einer Reihe von Versäumnissen der BaFin. Dazu zählen eine Gestattung trotz Nachschusspflicht, für eine Beurteilung der Vermögensanlage nicht ausreichende Informationen (Verstoß gegen Paragraph 7 Vermögensanlagengesetz) und nicht beanstandete Widersprüche im Rahmen der Kohärenzprüfung. Und um den Haftungsausschluss der BaFin gemäß Paragraph 4 Absatz 4 Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz auszuhebeln, argumentiert er mit höherrangigem Recht der Europäischen Gemeinschaft. Das klingt alles absolut plausibel, da den Anlegern anderweitige Entschädigungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. Genau das hat der EuGH allerdings in früheren Entscheidungen als Voraussetzung definiert, um den Ausschluss von Amtshaftungsansprüche nach deutschem Recht zu billigen.

Anlegeranwalt Dr. Wolfgang Schirp
Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Schirp

Finanzwende. Die vom Bundestagsabgeordneten Dr. Gerhard Schick und anderen gegründete Bürgerbewegung Finanzwende e.V. startet auf den P&R-Gläubigerversammlungen einen Aufruf an den BaFin-Präsidenten Felix Hufeld: „BaFin, aufwachen! Stopp endlich Betrügereien wie P&R!“ Einer der Aufhänger ist der seit Juli 2015 gesetzlich verankerte Verbraucherschutzauftrag: „Schauen Sie hin, statt aus Angst vor Regressforderungen weg!“ Hufeld wird auch aufgefordert, „bei Lücken die notwendige Unterstützung bzw. eine gesetzliche Grundlage offensiv von der Politik“ einzufordern.

Ratinghaftung. Nicht nur bei der Finanzaufsicht kämpft Wolfgang Schirp für mehr Verantwortung von Steigbügelhaltern zweifelhafter Finanzprodukte. Am Tag vor der Klageeinreichung hat er für ein Ehepaar ein sensationelles Ergebnis in einem Verfahren gegen die Ratingagentur Scope erzielt. Diese hat ein zweifelhaftes Rating für eine Anleihe des Traumschiffes „MS Deutschland“ erstellt. (siehe auch: Ratingagenturen dürfen keine Lohnschreiber sein) Dank Gertrud Hussla und Lars Nagel vom Handelsblatt misslang allerdings, durch einen Vergleich die Öffentlichkeit auszuschließen. Sie berichteten darüber, dass in der Verhandlung Scope den vollen Schadensersatz und die Übernahme aller Anwalts- und Prozesskosten akzeptierte. Der Richter war enttäuscht, denn er hätte gerne einige Zeugen befragt. Schirp musste das Vergleichsangebot im Interesse der Mandanten annehmen, wird aber demnächst schon die nächste Klage in Millionenhöhe einreichen. Dr. Susanna Hübner, Pressesprecherin von Scope hat auf die Stillschweigevereinbarung verwiesen. Das Verfahren wäre ohne Präjudiz und ohne Schuldanerkenntnis beendet worden: „Es gibt in der Unternehmensgeschichte von Scope kein Verfahren, nach dem wir Schadensersatz leisten mussten.“

Loipfinger’s Meinung. Wenn Finanzakteure das Geld von Anlegern mit unseriösen Produkten abzocken, dann gelingt das meist nur mit Unterstützung anderer. Die halten gerne die Hand für ihre Dienste auf und sehen die Schuld am Ende nur bei den direkt Verantwortlichen. Doch so einfach ist die Sache nicht. Es wird Zeit, dass Analysehäuser für fragwürdige Ratings zur Verantwortung gezogen werden. Es wird auch Zeit, dass eine Finanzaufsicht im Interesse aller Verbraucher und auch der seriösen Produktanbieter ihre Wegschaupolitik bei unbequemen Gegnern beendet. Insofern hat Wolfgang Schirp in dieser Woche allen Anlegern einen gigantischen Dienst erwiesen. Creditreform, Euler Hermes, Scope, Dextro, TKL, GUB und andere werden den „Vergleich“ und die noch anstehenden Klagen vermutlich sehr genau verfolgen. Sie werden wahrscheinlich sogar etwas vorsichtiger bei der Ratingerstellung vorgehen. Leichtfertige Auftragsarbeiten, die es schon gegeben haben soll, dürften seltener werden.
BaFin-Präsident Felix Hufeld und vielleicht sogar Bundesfinanzminister Olaf Scholz als oberster Dienstherr werden ihre Klage ebenfalls sehr ernst nehmen. Es ist denkbar, dass sie die Schonhaltung aufgeben und die BaFin-Mitarbeiter zu kritischeren Einstellungen auffordern. Warum sollen immer nur formale Checklisten abgehakt und nicht einmal sinnvolle Fragen gestellt werden? Auch die zur Erfüllung des gesetzlichen Verbraucherschutzauftrages geschaffenen Referate sind endlich mit ausreichend Personal zu besetzen. Und am Ende sollte sogar die Finanzbranche selbst etwas aktiver auf erkennbare Missstände hinweisen, denn falls Schirp vor dem EuGH gewinnt, zahlen nicht die Steuerzahler die Rechnung, sondern die Finanzindustrie über Umlagen.


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