Prognostizierter Blindflug (Teil 4)

Eine rechtliche Einschätzung von Dr. Jürgen Machunsky

Die Diskussion, ob ein Prospekt auch unter dem KAGB Renditeprognosen zu enthalten hat, wird bisher – wenn überhaupt – rein aufsichtsrechtlich geführt. Dabei wird übersehen, dass aufsichtsrechtliche und zivilrechtliche Beratungsvorgaben keineswegs deckungsgleich sind.

Trennung Zivil- und Aufsichtsrecht. Der Bundesgerichtshof stellt immer wieder klar: Die Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten der §§ 31 ff. WpHG sind ausschließlich öffentlich-rechtlicher Natur und wirken auf das zivilrechtliche Schuldverhältnis zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Kunde grundsätzlich nicht ein (Senatsurteil vom 17. September 2013 – XI ZR 332/12, WM 2013, 1983 Rn. 16 ff.). Durch die Änderungen aufgrund des Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts sowie des Honoraranlageberatungsgesetzes hat sich hieran nichts geändert (BGH, Urteil vom 03. Juni 2014 – XI ZR 147/12). Grundsätzlich sieht der Bundesgerichtshof auch keine „Ausstrahlungswirkungen“ der aufsichtsrechtlichen Regelungen. Hiervon weicht er allenfalls ab, wenn es eine eindeutige und flächendeckende Regelung gibt. Von einer solchen flächendeckenden Regelung kann bezüglich der Prospektierung von Renditeprognosen nicht die Rede sein. Also gelten hier im Zivilrecht nach wie vor die Vorgaben des Bundesgerichtshofes zur Prospektpflicht.

Der BGH trennt Aufsichts- und Zivilrecht klar
BGH-Urteile weisen klar auf die Notwendigkeit einer nachvollziehbaren Prognoserechung hin
Quelle: ©coramax – fotolia.com

Wichtige BGH-Urteile. Bezüglich der Renditeprognosen ist die Position des BGH eindeutig: Zu den Umständen, über die der Prospekt ein zutreffendes und vollständiges Bild zu vermitteln hat, gehören auch die für die Anlageentscheidung wesentlichen Prognosen über die voraussichtliche künftige Entwicklung des Anlageobjekts (Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.09.2009 – XI ZR 337/08). Die Prognoserechnung erfordert eine besondere Sorgfalt von den Prospektverantwortlichen, weil der potentielle Anleger den Entwicklungsmöglichkeiten seiner Beteiligung im Regelfall eine besondere Bedeutung beimessen wird (Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.04.2008 – III ZR 227/06). Erforderlich ist, dass die Prognosen im Prospekt durch sorgfältig ermittelte Tatsachen gestützt und aus Sicht der Prospekterstellung vertretbar gewesen sind (BGH, Urteil vom 23.04.2012 – II ZR 75/10). Sich zu diesem Zeitpunkt abzeichnende Risiken sind zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 18. Juli 2008 – V ZR 71/07). Es dürfen keine Widersprüche zwischen den Prognosen und dem sonstigem Prospektinhalt bestehen (BGH, Urteil vom 17.04.2008 – III ZR 227/06). Wird im Prospekt angegeben, dass die Prognose auf Erfahrungswerten der Vergangenheit beruht, muss es solche (belastbaren) Vergangenheitswerte auch geben, eine Berechnung mit fiktiven Zahlen ist zumindest dann fehlerhaft (BGH, Urteil vom 31. Mai 2010 – II ZR 30/09).

Machunsky’s Meinung. Prognosen in Verkaufsprospekten dürfen optimistisch gehalten sein. Der Anleger muss das Prognoserisiko tragen. Allerdings muss sich ein Anleger ein zutreffendes und vollständiges Bild von einer Anlage machen können. Dazu gehört eben auch eine nachvollziehbare Prognoserechnung, ohne die eine Beurteilung unmöglich ist.

Teil 1: Vorgeschriebene Basisinformationen …

Teil 2: Anbieter missachten die gesetzliche Intention …

Teil 3: Unsinnige Ausreden und berufsmäßige Schizophrenie …


Beitrag veröffentlicht

in

von