Keine Unentgeltlichkeit bei P&R?

OLG München entscheidet im ersten Berufungsverfahren

Das Oberlandesgericht München setzt ein Zeichen und weist mögliche Anfechtungsansprüche der Insolvenzverwalter bei P&R zurück. Nur wenige Monate nach dem Landgericht hat die Berufungsinstanz zu Gunsten der AnlegerInnen entschieden. Vor der Insolvenz im März 2018 von P&R noch geleistete Zahlungen können nicht zurückgefordert werden. Zumindest wenn es nach den Münchner Richtern geht, die eine Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) nicht zugelassen haben. Die Kanzlei Jaffé will dagegen Nichtzulassungsbeschwerde einlegen.

Erster OLG-Entscheid. Obwohl das Landgericht München I relativ spät im Dezember 2020 nach anderen Gerichten über eines der Pilotverfahren zu möglichen Anfechtungsansprüchen des Insolvenzverwalters Dr. Philip Heinke von der Kanzlei Jaffé entschieden hat, hat das Oberlandesgericht nun ganz schnell sein Urteil gefällt. Es wirkt fast so, als wenn der hier verantwortliche 5. Senat durch seine Entscheidung die weitere Rechtsprechung prägen möchte. Dafür spricht auch die Urteilsbegründung, die weit über den Einzelfall hinausblickt. Den von Anfechtungsansprüchen bedrohten AnlegerInnen kann es recht sein, da sie nach dem 93 %-igen Sieg beim Landgericht nun noch besser abschneiden.

P&R-AnlegerInnen könnten langsam klarer sehen in Bezug auf mögliche Rückzahlungsforderungen durch den Insolvenzverwalter
Der Paragraphendschungel könnte sich langsam lichten für die P&R-AnlegerInnen
Bild: Stefan Loipfinger

Beklagteneinschätzung. Dr. Alexander Hobelsberger von der Münchner Kanzlei Hobelsberger & Neidlinger freut sich riesig für seine Mandantin: „Die Entscheidung lässt in ihrer Deutlichkeit aus Anlegersicht nichts zu wünschen übrig. Für das OLG München lag es auf der Hand (O-Ton), dass die Zahlungen seitens P&R an die Anleger für Miete und Rückkauf der Container nicht ‚unentgeltlich‘ gemäß § 134 InsO waren und deshalb vom Insolvenzverwalter nicht angefochten werden können. Bereits die Tatsache, dass der OLG-Senat die Berufung des Insolvenzverwalters einstimmig als offensichtlich unbegründet ohne mündliche Verhandlung per Beschluss zurückgewiesen hat, zeigt wie deutlich die Münchner Richter die Situation zugunsten der von uns vertretenen Anlegerin einschätzten. Insofern ist auch zu beachten, dass das OLG den Antrag des Insolvenzverwalters auf Zulassung der Revision zurückwies.“ Ähnlich sieht es Alexander Pfisterer-Junkert von der Kanzlei BKL Fischer Kühne + Partner, der das beim OLG Karlsruhe liegende Anfechtungsverfahren betreut: „Die Argumentation des 5. Senats überzeugt vollständig, weil dort das Gesamtprodukt P&R für die Entscheidungsfindung zutreffend zu Grunde gelegt wurde. Auch für den 5. Senat des OLG München spielt es daher keine Rolle, dass gegebenenfalls isolierte Mängel (Eigentumsübertragung) dem Insolvenzverwalter eine Rückforderungsmöglichkeit eröffnen sollen. Wir sind zuversichtlich, dass sich diese klare Linie auch an anderen Oberlandesgerichten durchsetzen wird.“

Urteilsbegründung. Der vom Vorsitzenden Richter Dr. Nikolaus Stackmann geführte Senat hat bereits in einem Hinweisbeschluss im März 2021 seine Einschätzung sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. In der nun veröffentlichten Urteilsbegründung wird klar verneint, dass die Frage der (Un-)Entgeltlichkeit an der tatsächlichen Übertragung des Eigentums an Containern festzumachen ist: „Dabei lassen sich die Voraussetzungen der Unentgeltlichkeit nicht ohne Berücksichtigung der mit dem Anfechtungsgegner getroffenen Abrede feststellen. Handelt es sich nach den einschlägigen Rechtsgrundsätzen um ein entgeltliches Geschäft, kann die von dem Schuldner erbrachte Zuwendung nicht deshalb als unentgeltlich angefochten werden, weil die Gegenleistung ausgeblieben ist.“
Insgesamt stellt das Gericht auf einen „objektiven Empfängerhorizont“ ab: „Auch wenn dort von ‚Totalverlust‘ die Rede ist, kann die Klausel aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts nur so gedeutet werden, dass die Schuldnerin jederzeit für die Existenz der Container einzustehen hatte, ganz unabhängig davon, ob sie ihre Eigentumsübertragungsverpflichtungen vorher erfüllt hatte oder nicht.“ Damit widerspricht das OLG dem LG in seiner Einschätzung, wonach aufgrund eines Schneeballsystems der Gewinn aus dem Geschäft zurückzuzahlen wäre: „Soweit das Landgericht hier zur Rückzahlung von ‚Mietzinszahlungen‘ verurteilt hat, verkennt es, dass die Schuldnerin keinen Mietzins bezahlt hat, sondern gegenüber der Beklagten im Kauf- und Verwaltungsvertrag eine Garantie für die Zahlung des dort genannten Mietzinses übernommen hat.“

Strahlwirkung. Obwohl der Münchner Pilotfall mit einem P&R-Leasingangebot einen Spezialfall betrifft, sieht das OLG die eigene Rechtsmeinung auf die anderen P&R-Fälle übertragbar: „Zudem werde das hiesige Geschäftsmodell jedenfalls in leicht abgewandelter Form von weiteren Gesellschaften betrieben.“ Es sieht sogar keinen Anlass, die Revision wegen einer grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen: „Der Umstand, dass eine einheitliche Entscheidung des Revisionsgerichts in mehreren denselben Sachverhalt betreffenden Parallelverfahren angestrebt wird, gibt der Sache keine allgemeine, mithin grundsätzliche Bedeutung.“ Das OLG verneint deshalb „das Vorliegen einer klärungsbedürftigen Rechtslage“ und „sieht keinen Anlass, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen“. Die Kanzlei Jaffé verweist auf Nachfrage auf die bisher uneinheitliche Rechtsprechung zur Frage, ob die an P&R Anleger geleisteten Zahlungen anfechtbar sind: „Die Entscheidung des OLG München eröffnet jetzt die Möglichkeit, den ersten Fall einer Reihe von Pilotprozessen über eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zu bringen. Nur der Bundesgerichtshof wird durch Entscheidungen über die jeweils leicht unterschiedlichen Fälle die Rechtslage und die damit einhergehenden Fragen zur Anfechtbarkeit von Zahlungen klären können.“

Erste Abschlagszahlung. Unabhängig von den Anfechtungsfragen hat Dr. Michael Jaffé vergangene Woche insgesamt 74.000 Überweisungen an 54.000 P&R-AnlegerInnen im Gesamtvolumen von über 200 Millionen Euro veranlasst. Zahlreiche AnlegerInnen haben bei Investmentcheck auch darüber berichtet, die Überweisungen bereits auf ihren Konten erhalten zu haben. Soweit die vor Wochen angekündigte Umsetzung der ersten Abschlagsverteilung. Eine positive Überraschung dürfte allerdings die Ankündigung einer weiteren Abschlagsverteilung im nächsten Jahr gewesen sein. „Die nächste Zahlung kann aller Voraussicht nach dann bis Mitte 2022 geleistet werden“, erklärte Insolvenzverwalter Jaffé.

Loipfinger’s Meinung. Ich möchte in solchen Angelegenheiten nicht über richtig und falsch entscheiden müssen. Eine solche Anfechtungswelle, wie sie im Fall P&R nun unwahrscheinlicher geworden ist, ist letztendlich eine gigantische Umverteilung. Positiv könnte man sagen, dass der Schaden auf mehr AnlegerInnen verteilt wird. Negativ sind die immensen Kosten für Rechtsanwälte, Insolvenzverwalter und Gerichte, die bei der Klärung tausender Einzelfälle entstehen und auch die Umverteilungsmasse belasten. Da es am Ende keine absolute Gerechtigkeit geben wird, sehe ich es pragmatisch und bevorzuge die einfachere Lösung der Nichtanfechtung.

Service. Wer das gesamte OLG-Urteil lesen und eventuell auch mit anderen darüber diskutieren möchte, der kann dies im Forum Investmentcheck.Community tun.
Die bisherige Berichterstattung zu den bisherigen Anfechtungsverfahren ist nachfolgend abrufbar:
93 %-iger Sieg für P&R-Anleger – 11. Dezember 2020 zum Urteil des LG München I
Tendenz uneinheitlich – 12. Oktober 2020 zum Urteil in Stuttgart und zum Stand anderer Anfechtungsverfahren
Etappensieg für P&R-Anleger – 12. Juli 2020 zum ersten Anfechtungsverfahren beim LG Karlsruhe
800 Meter bis zum Ziel – 20. Juni 2020 zur ersten mündlichen Verhandlung in Karlsruhe
Die gesammelte P&R-Berichterstattung bei investmentcheck ist hier abrufbar.

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