Selten, aber brisant: Streit zwischen zwei BGH-Senaten

16/2023: Wöchentlicher Kommentar von Kerstin Kondert

Liebe Leserinnen und Leser,
zwischen zwei Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs besteht ein in dieser Form extrem seltener, weil offener Konflikt, der fundamentale Bedeutung für Tausende Geschädigte in geschlossenen Fonds hat. Es geht um Fragen der Prospekthaftung. Der XI. Zivilsenat des BGH vertritt die Auffassung, dass die erst nach zehn Jahren verjährende Prospekthaftung im weiteren Sinn auf die Gründungsgesellschafter bei geschlossenen Fonds, die zwischen 2005 und 2012 an den Markt gebracht wurden, nicht (mehr) anwendbar ist, sondern von der schon nach drei Jahren verjährenden spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt wird. In diesem Sinn entscheidet er seit Januar 2021. Geradezu zynisch: Der XI. Senat meint, mit seiner Auffassung dem Willen des Gesetzgebers zu entsprechen, den dieser im Anlegerschutzverbesserungsgesetz (!) zum Ausdruck bringen wollte.

Tatsächlich hat die Auffassung des XI. Senats fatale Auswirkungen für klagende Anleger und konterkariert den Anlegerschutz. Denn danach wären im überwiegenden Teil der Fälle die Schadensersatzansprüche der Anleger bei Klageeinreichung bereits verjährt gewesen. Die Anleger bleiben nicht nur auf dem Schaden, sondern auch auf den Kosten sitzen. Ein Großteil der Landgerichte und Oberlandesgerichte hat inzwischen mit Verweis auf den XI. Senat aufgehört, Prospektfehler überhaupt noch zu prüfen, und haufenweise Klagen mit der Begründung der Verjährung abgewiesen. Tausende Anleger warten aber noch auf die Entscheidung und hoffen jetzt auf den II. Senat. Der vertritt nämlich eine dem XI. Senat entgegengesetzte Auffassung. Die Krux ist, dass nur wenige der maßgeblichen Fälle bisher beim II. Senat gelandet sind und diese entgegengesetzte Auffassung bisher nicht in ein Urteil münden konnte. Das soll sich jetzt kurzfristig ändern und hat die äußerst seltene Folge, dass der sog. Große Senat des BGH unter Vorsitz der Präsidentin des BGH die Rechtsfrage klären muss.

Kampf der Titanen
Kampf der Titanen
Bild von Herbert Bieser auf Pixabay

In den letzten Monaten gab es noch eine weitere Entwicklung, bei der Anlegerschutz zum Anlegerschaden führt und deutlich wird, dass gut gemeint nicht immer gut gemacht ist. Ich weiß von vier Anlagegesellschaften, die ihre Jahresabschlüsse zu spät eingereicht haben und mit Bußgeldern in sechsstelliger Höhe belegt wurden. Zwei dieser Gesellschaften (aus der Unternehmensgruppe Steiner) mussten Insolvenz anmelden, weil sie die je 250.000 Euro Strafe nicht bezahlen konnten. Auch hier wollte der Gesetzgeber durch die strafbewehrte Verpflichtung zur schnellen Abgabe von Jahresabschlüssen den Anlegern größere Transparenz verschaffen und ihre Position stärken. Tatsächlich liegt es aber im Ermessen des Bundesamtes für Justiz, ob die Anlagegesellschaft selbst oder deren Geschäftsführung (die häufig kein Interesse an größerer Transparenz hat!) mit Strafe belegt wird. Aus unerfindlichen Gründen hat sich das Bundesamt für Justiz in diesen vier Fällen für die Anlagegesellschaft entschieden und damit das Opfer bestraft, während der Täter straflos davonkommt.

Diese Beispiele zeigen deutlich, dass sich Anlegerschutz-Aktivitäten nicht auf die konkrete Arbeit im Einzelfall beschränken kann, sondern auch die Einflussnahme auf die politischen und gesetzgeberischen Entwicklungen wichtig und wesentlich ist.

Wenn Sie Ideen und Möglichkeiten haben, unsere Arbeit in dieser Hinsicht zu unterstützen, empfangen wir Sie mit offenen Armen.

Ich wünsche Ihnen sonnige und frühlingsmilde Tage!

Ihre
Kerstin Kondert

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