Die Zukunft der Schwarmfinanzierung

25/2023: Wöchentlicher Kommentar von Stefan Loipfinger

Liebe Leserinnen und Leser,
Bundesfinanzminister Christian Lindner verteilt gerade Geschenke an Crowdfunding-Plattformen. Im Zukunftsfinanzierungsgesetz sollen neben einigen sinnvollen Regelungen allerdings auch Haftungserleichterungen verabschiedet werden. Stichwort sind die Paragraphen 32 c und d aus dem Wertpapierhandelsgesetz. Dort ist bisher eine Haftung für die Plattformen sowie deren Organträger aus Vorsatz und Fahrlässigkeit für irreführende, unrichtige oder unvollständige Informationen in den Verkaufsunterlagen definiert. Zukünftig sollen Plattformen nur noch bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz haften, für Organträger wird die rechtliche Verantwortung nach dem Willen der FDP komplett gestrichen.

Meiner Meinung ist das der falsche Anreiz, um ein wichtiges Finanzvehikel für Start-ups so aufzustellen, dass langfristig funktionierende Märkte entstehen können. Der Flaschenhals ist das Geld, weshalb man eigentlich die Interessen der InvestorInnen stärken muss. Warum ist es so schwer, das zu verstehen? Schwarmfinanzierungs-Plattformen müssen als Vermittler die Sicht der AnlegerInnen leben. Tun sie das nicht, sollten sie möglichst schnell vom Markt verschwinden, damit der von ihnen angerichtete Schaden der Gesamtidee nicht zu stark abträglich ist.

Bundesfinanzminister Christian Lindner: „Wir wollen Deutschland zum führenden Standort für Start-ups und Wachstumsunternehmen machen. Deshalb verbessern wir den Zugang zum Kapitalmarkt und erleichtern die Aufnahme von Eigenkapital. Hiervon werden auch kleinere und mittlere Unternehmen profitieren.“
Bundesfinanzminister Christian Lindner: „Wir wollen Deutschland zum führenden Standort für Start-ups und Wachstumsunternehmen machen. Deshalb verbessern wir den Zugang zum Kapitalmarkt und erleichtern die Aufnahme von Eigenkapital. Hiervon werden auch kleinere und mittlere Unternehmen profitieren.“

Ein aktuelles Beispiel: Der Spirituosen-Anbieter Tastillery GmbH wollte über Seedmatch bis zu 1,1 Millionen Euro sammeln. Das VIB dazu stammt vom 11. Mai 2023 und wurde so von der Finanzaufsicht BaFin genehmigt. Die hochprozentigen Produkte haben hier wohl einigen die Sinne vernebelt, denn der Anbieter hatte zu dem Zeitpunkt gerade einmal seinen Jahresabschluss 2020 im Bundesanzeiger veröffentlicht, der auch noch eine massive Überschuldung zeigte. Eine Woche nach VIB-Erstellung kam es zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens (Amtsgericht Hamburg, Aktenzeichen 67h IN 133/23). Sie können meine Vorschläge für passende Adjektive beliebig ergänzen, um das Vorgehen der Start-up-Verantwortlichen zu beschreiben. Mir fallen spontan skrupellos oder verzweifelt ein. Für Seedmatch als Plattform, die angeblich 16 Prozent Rendite in der Vergangenheit für InvestorInnen erwirtschaftete, passt wohl eher unverantwortlich oder provisionsgetrieben. Bei der Finanzaufsicht, die bei dem Crowdfunding offenbar auf Produktinterventionsmaßnahmen zum Schutz von VerbraucherInnen verzichtete, würde wohl blind oder blauäugig passen. Bleibt noch Finanzminister Lindner, dem ich Ignoranz gegenüber KleinanlegerInnen und lobbygetriebene Klientelpolitik attestiere.

Dass die Haftung bei Crowdfundings keine Theorie, sondern immer mehr gelebte Praxis ist, zeigt ein Gerichtsbeschluss, den ich diese Woche auf den Tisch bekam: Lutz Tiedemann hat beim Landgericht Baden-Baden ein Urteil gegen den Geschäftsführer einer gescheiterten Emittentin erstritten. Hintergrund ist, dass die Nachrangklausel der Darlehensverträge bei Ledora, einem älteren Crowdfunding von Seedmatch, ungültig sind. Obwohl in diesem Fall der Kläger als VC-Investor Profi ist, hat das Gericht ihm Schadensersatz zugesprochen. Fast salomonisch teilte das Gericht den Schaden zwischen Kläger und Beklagten hälftig auf. In diesem Fall hätte ich allerdings vorher nicht erwartet, dass ein Profi-Investor wegen einer intransparenten Nachrangklausel überhaupt Schadensersatz bei einem Geschäftsführer einer Emittentin durchsetzen kann. Wenn ich die richterliche Begründung so lese, dann hätten echte PrivatanlegerInnen wohl den vollen Schaden zugesprochen bekommen.

Bleiben Sie unnachgiebig

Ihr
Stefan Loipfinger

P.S.: Wenn Sie am kommenden Sonntag noch eine informative Beschäftigung in Berlin suchen, dann kommen Sie doch einfach um 10:27 Uhr zum Bundesjustizministerium am Hausvogteiplatz. Im Rahmen des Aktionstages Wirecard/EY wird anlässlich der vor drei Jahren genau um diese Uhrzeit verkündeten Ad-hoc-Meldung zum Insolvenzantrag über die völlig unzureichenden rechtlichen Rahmenbedingungen aus Sicht der geschädigten AnlegerInnen diskutiert. Und wenn Sie keine Zeit haben, können Sie auf change.org eine Petition unterzeichnen. Der Schutz von VerbraucherInnen wird leider auf ganz vielen Ebenen häufig so ausgestaltet, dass er nicht wirkt.


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